Kategorien
Technik und Organisation

Mehr als Papierkram: Warum Dokumentation in der Fertigung unverzichtbar ist

Mehr als Papierkram: Warum Dokumentation in der Fertigung unverzichtbar ist 1

In der modernen Fertigung ist die Dokumentation ein zentrales Element für Qualität, Nachvollziehbarkeit und Rechtssicherheit. Sie begleitet den gesamten Produktionsprozess, von Entwicklung und Konstruktion über die Herstellung bis hin zu Wartung und Reparatur. Eine lückenlose Dokumentation ist nicht nur aus organisatorischen Gründen wichtig, sondern auch gesetzlich vorgeschrieben und im Falle von Reklamationen oder Schadensfällen oft entscheidend.

1. Arten der Dokumentation in der Fertigung

Die Dokumentation in der Fertigung umfasst verschiedene Formen und Inhalte. Je nach Branche kommen unterschiedliche Schwerpunkte hinzu. Hier ein kurzer Überblick zu den gebräuchlichsten Unterlagen.

a) Technische Dokumentation

  • Konstruktionszeichnungen
    • Einzelteilzeichnungen (Detaillierte technische Zeichnungen einzelner Bauteile mit allen Maßen, Toleranzen und Werkstoffangaben)
    • Zusammenstellungszeichnungen /Baugruppenzeichnungen (Übersichtliche Darstellungen kompletter Baugruppen oder Maschinen mit Positionsnummern und Verweis auf Stücklisten)
    • Explosionszeichnungen (Grafische Darstellung von Baugruppen zur Veranschaulichung des Zusammenbaus bzw. der Demontage)
  • Stücklisten (Auflistung aller Einzelteile und Baugruppen mit Mengenangaben, Materialbezeichnungen und Artikelnummern)
  • Funktionspläne / Schaltpläne (Elektrische, hydraulische oder pneumatische Pläne zur Darstellung von Steuerungen, Verdrahtungen oder Fluidkreisläufen)
  • Montageanleitungen
  • Kabel- und Verdrahtungslisten (Detaillierte Listen aller eingesetzten Kabel, Leitungen und deren Anschlusspunkte – insbesondere im Schaltschrankbau und in der Elektrotechnik)
  • Klemmenpläne (Übersicht über die Belegung von Klemmenleisten in Schaltschränken oder Steuerungen)
  • Prüfpläne / Prüfanweisungen (Vorgaben zur Durchführung von Messungen nach VDE-Normen)
  • Softwaredokumentationen / SPS-/PLS-/DCS Programme (Beschreibung von Steuerungsprogrammen (z.B. für speicherprogrammierbare Steuerungen), inklusive Versionsverwaltung)

b) Fertigungsdokumentation

  • Arbeitsanweisungen, Arbeitsplan
  • Fertigungsprotokolle
  • Maschinenparameter und Einstelldaten
  • Rüstprotokolle
  • Visualisierungsdokumente wie z.B. Gesperrt, In Arbeit, Geprüft, Schrott, etc.

c) Qualitätsdokumentation & Prüfdokumente

  • Prüfberichte (z.B. Erstmusterprüfbericht EMPB bzw. First Article Inspection FAI)
  • Messprotokolle
  • Fehlerberichte/Nacharbeitsprotokolle
  • Rückverfolgbarkeitsnachweise (Traceability)
  • Prüfzeugnisse nach DIN EN 10204 (z.B. 3.1, 2.2, 2.1)
  • Bestätigen Materialeigenschaften durch Hersteller oder unabhängige Dritte.
  • Prüfbescheinigungen:
  • Nachweise über durchgeführte Prüfungen an Bauteilen oder Baugruppen.
  • Mess- und Prüfprotokolle nach VDE 0100-600, VDE 0100-105, VDE 0701-702, etc.
  • Dokumentieren elektrische Sicherheitsprüfungen bei Neuinstallationen, Wiederholungsprüfungen oder Reparaturen.
  • Sonderfreigaben
  • Freigabedokumente für Produkte/Bauteile außerhalb der Normvorgaben oder mit Abweichungen.
  • Stücknachweisprotokoll gemäß EN 61439-1
  • Nachweis für die Konformität von Niederspannungs-Schaltgerätekombinationen im Schaltschrankbau.

d) Wartungs- und Reparaturdokumentation

  • Wartungspläne, -protokolle, Inspektions- und Serviceprotokolle (Formulare zur lückenlosen Erfassung durchgeführter Wartungsarbeiten an Maschinen, Anlagen oder elektrischen Einrichtungen)
  • Reparaturberichte
  • Änderungsdokumentationen (z.B. bei Umbauten oder Upgrades)

e) Begleitende Unterlagen

  • Lieferantenbescheinigungen (z.B. Materialzeugnisse)
  • Konformitätserklärungen (z.B. CE-Kennzeichnung)
  • Schulungsnachweise für Personal
  • Montageanleitungen & Inbetriebnahme-Anweisungen (Anleitungen für Aufbau, Installation und Erstinbetriebnahme von Maschinen oder Anlagen)
  • Benutzerhandbuch

f) Unterlagen zum Arbeitsschutz

  • Schulungsnachweise für Personal
  • Gefährdungs- und Risikobeurteilungen
  • Ernennungen und Bestellungen
  • Sonstige Nachweise über die Einhaltung gesetzlicher Anforderungen bei Maschinen und Anlagen.

Hinweis: Die oben aufgeführten Dokumente stellen eine Auswahl der gebräuchlichsten Unterlagen dar; je nach Branche, Produktanforderung oder Kundenwunsch können weitere spezifische Dokumentationsarten erforderlich sein.

2. Warum sollte dokumentiert werden?

Die Gründe für eine umfassende Dokumentation sind branchenübergreifend vielfältig:

Nachvollziehbarkeit:

Jeder Produktionsschritt kann im Nachhinein überprüft werden – wichtig bei Fehleranalysen oder Rückrufen etwa in der Automobilindustrie oder bei sicherheitsrelevanten Komponenten im Sondermaschinenbau.

Qualitätssicherung:

Nur durch dokumentierte Prüfungen und Freigaben kann die Einhaltung von Qualitätsstandards nachgewiesen werden – beispielsweise bei elektronischen Baugruppen in EMS-Fertigung oder bei sicherheitskritischen Hydrauliksystemen.

Rechtssicherheit:

Im Streitfall dient die Dokumentation als Beweismittel gegenüber Kunden, Behörden oder Versicherungen – etwa bei Produkthaftung im Fahrzeugbau oder bei Abnahmen durch Prüforganisationen im Schaltschrankbau.

Wissenssicherung:

Erfahrungen, Verbesserungen oder Änderungen bleiben erhalten – besonders wichtig beim Know-how-Erhalt in spezialisierten Bereichen wie MSR-Technik oder Sondermaschinenbau.

Effizienzsteigerung:

Gut dokumentierte Prozesse ermöglichen eine schnellere Einarbeitung neuer Mitarbeiter*innen sowie eine effiziente Optimierung von Abläufen – z.B. beim Wechsel zwischen verschiedenen Produktvarianten in der Elektronikfertigung.

3. Rechtliche Aspekte & Dokumentationspflichten

In allen genannten Branchen ist die Dokumentation teils gesetzlich vorgeschrieben:

Produkthaftungsgesetz (§§ 1 ff. ProdHaftG):

Hersteller müssen nachweisen können, dass ihre Produkte sicher sind; dies gilt für Fahrzeuge ebenso wie für elektrische Geräte oder hydraulische Komponenten.

Maschinenrichtlinie (2006/42/EG):

Verlangt technische Unterlagen zur Konstruktion, Prüfung und Inbetriebnahme von Maschinen – relevant für den klassischen Maschinenbau ebenso wie für den Schaltschrankbauer.

Niederspannungsrichtlinie 2014/35/EU & EMV-Richtlinie 2014/30/EU:

Betreffen insbesondere Elektro-, Elektronikfertigung sowie Schaltschrankbauer hinsichtlich Sicherheit elektrischer Betriebsmittel bzw. elektromagnetischer Verträglichkeit.

ISO 9001 (Qualitätsmanagement):

Fordert eine umfassende Dokumentationsstruktur für alle qualitätsrelevanten Prozesse – branchenübergreifend Standard.

Branchenabhängige Normen z.B.:

Medizinproduktegesetz (MPG)

IATF 16949 (Automobilindustrie)

EN 9100 (Luftfahrt)

VDE-Vorschriften (Elektrotechnik)

z.B.: VDE 0100 Teil 600/105; VDE 0701–0702

DIN EN ISO 13849 / IEC 62061 (Funktionale Sicherheit)

EN 61439‑1 (Schaltschrankbau)

Bei Reparaturen, insbesondere an sicherheitsrelevanten Bauteilen wie Bremsanlagen im Fahrzeugbau oder Not-Aus-Kreisen im Sondermaschinenbau/MSR-Bereich besteht ebenfalls eine Pflicht zur lückenlosen Protokollierung aller Maßnahmen – sowohl aus Haftungsgründen als auch zur Sicherstellung des ordnungsgemäßen Zustands des Produkts.

4. Weitere Aspekte rund um die Fertigungsdokumentation

Digitalisierung & Industrie 4.0:

Moderne Betriebe setzen zunehmend auf digitale Lösungen wie Manufacturing Execution Systems (MES), elektronische Prüfdokumente oder cloudbasierte Archivierung, etc.

Datenschutz:

Personenbezogene Daten im Rahmen von Schulungsnachweisen oder Qualifikationsprofilen unterliegen dem Datenschutzrecht (DSGVO).

Archivierungsfristen:

Je nach Branche gelten unterschiedliche Aufbewahrungsfristen – häufig zwischen 5 und 10 Jahren; bei sicherheitsrelevanten Produkten auch länger (z.B. Luftfahrt).

Traceability:

Gerade in sensiblen Branchen muss jederzeit nachvollziehbar sein, welche Materialien/Bauteile/Chargen verwendet wurden – etwa bei elektronischen Komponenten oder sicherheitskritischen Teilen im Fahrzeug-/Maschinenbau.

Schnittstellenmanagement:

In komplexen Projekten mit mehreren Gewerken wie Mechanik/Hydraulik/Elektrik/MSR ist eine saubere Schnittstellendokumentation unerlässlich für einen reibungslosen Ablauf.

Quellen & weiterführende Literatur

  • VDI-Richtlinie 4500: Technische Produktdokumentation – www.vdi.de
  • Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG) – Gesetze-im-internet.de
  • Maschinenrichtlinie 2006/42/EG – EUR-Lex
  • Niederspannungsrichtlinie & EMV-Richtlinie – EUR-Lex Niederspannung & EUR-Lex EMV
  • ISO 9001:2015 Qualitätsmanagementsysteme, Anforderungen – iso.org
  • Handbuch Produktion und Management 1: Produktionsmanagement, Günther Schuh/Egon Müller, Springer Vieweg
  • Fertigungsorganisation – Grundlagen, Planung, Steuerung, Jürgen Kletti, Hanser Verlag
  • Elektronikpraxis Fachartikel: „Dokumentationspflichten in der Elektronikfertigung“, elektronikpraxis.vogel.de
  • Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Leitfaden zur Maschinenrichtlinie – bmuv.de
  • VDMA-Einheitsblätter zu branchenspezifischer technischer Dokumentation – vdma.org
  • DIN EN ISO 10204 Metallische Produkte, Arten von Prüfbescheinigungen – vde.com
  • EN 61439‑1 Niederspannungs-Schaltgerätekombinationen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert